„Poesie des Rasters“

 

Laudatio im Kunstverein Gera 12.05.05

„Poesie des Rasters“

Ich freue mich über das interessante Kontrastprogramm unseres Kunstvereins, zunächst die faszinierende temperamentvolle gestische Malerei der großen Gerda Lepke, – nun mit Reinhard Roy einen international bekannten Vertreter der „Konkreten Kunst“. Beide eint ihre kompromisslose Haltung zur Freiheit und Autonomie der Kunst. Die wichtigste Quelle der Konkreten Kunst, einer Welt umspannenden Bewegung mit Zentren u. a. in Gmunden am Traunsee und Erfurt ist im Konstruktivismus und damit auch bei den Meistern und Schülern des Bauhauses zu finden, jener Zeit der Klassischen Moderne also als Künstler ihr Tun noch als verantwortungsvolles, aktives „Wirken in ihrer Zeit“ ansahen.

Existentielle Elemente Konkreter Kunst sind in folgendem Credo prägnant zusammengefasst worden: „Denn nichts ist konkreter, wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche“ 1)

In der Konkreten Kunst geht es stets um die Autonomie der gestalterischen Mittel, ja letztlich des Werkes schlechthin, um seine Unabhängigkeit von einem real – Äußeren. Wenn man so will, nimmt die Konkrete Kunst Paul Cézanne ganz ernsthaft beim Wort, wenn er von einer „Kunst parallel zur Natur“ spricht.

Als Parallelen zur -oder als eine besondere Art des Extraktes aus der Natur gelten für mich auch Malerei und Plastik Reinhard Roys, der an der legendären „Burg Giebichenstein“ zu Halle (heute Hochschule für Kunst und Design Halle) studierte, und über Materialcollagen und Assemblagen sowie frühzeitiger Beschäftigung mit konstruktiven Gestaltungselementen zur freien Kunst fand. Er führt die beiden Genres auf ihre Urelemente Farben, Flächen und Körper mit raumschaffenden Qualitäten zurück, deren Wechselspiele als elementare Ausdruckskräfte, mit Empfindungs- und Aussagefunktion nur aus sich heraus ihre imaginative Kraft entfalten. Das Material selbst ist der Inhalt, es verweist auf nichts, das außerhalb davon liegt. 
Der Konstruktivismus wie die Konkrete Kunst waren zu dem Zeitpunkt als Roy sie für sich entdeckte, zwar keine Tabuthemen in der DDR mehr, sie erfreuten sich allerdings auch keiner überschäumender Beliebtheit und Begeisterung bei den Kultur – und Kunstfunktionären. 
Es bedurfte eines festen Glaubens an sich selbst und einer Portion Standfestigkeit, sich zu solcherart Kunst zu bekennen.
Heute malt Reinhard Roy – in Mischtechnik – Tafelbilder mit leuchtenden, fein differenzierten Tönen von außerordentlicher Strenge, Transparenz und Disziplin.
Monochrome Farben oft nur leicht in sich moduliert, in bestimmten Kontrast- und Teilungsverhältnissen, gliedern sensibel Flächen oder werden von präzise gesetzten Strukturen aus geometrischen Elementarformen überzogen.
Dabei nimmt Reinhard Roy das Punktraster, seit der zufälligen Entdeckung als sein persönliches formales Ausdrucksmittel in Anspruch, daß er – ganz im Sinne der Pioniere der Moderne – souverän, variantenreich und äußerst überzeugend einsetzt. 
Roy entwickelt Bildkompositionen die in ihrer Logik und Zwangsläufikeit wie mathematische Beweise wirken. Sehen wir aber genauer hin entdecken wir in oder hinter diesem „extrem Gleichen“ wie es Eugen Gommringer einmal genannt hat, eine untergründige zweite sehr individuelle, gar nicht mehr extreme Gleichheit sondern feinste oszillierende Farbdifferenzierungen.

So erscheinen Reinhard Roys Werke nur auf den ersten Blick kühl. Tatsächlich besitzen sie in ihrer Ambivalenz von kompromißloser Strenge und feinnerviger Coloristik eine Ausstrahlung, die zu intensiver individueller Zwiesprache herausfordert und den Betrachter in Selbstvergessenheit geraten lassen kann. Sie vermitteln subtile Assoziationen an vielfältige Bereiche unseres Lebens ebenso, wie ganz persönliche Signale eines Künstlers von sich selbst, der mit Empfindungsreichtum, künstlerischer Konsequenz und souveränem Können Bilder von stiller, eindringlicher meditativer Kraft schafft.
Ein charakteristisches, über formale künstlerische Problemstellungen hinausweisendes Grundthema der Roy´schen Kunst scheint mir das von Ruhe und Störung zu sein, ein Begriffspaar, das allgemein auch gern zu einem Begriff, dem der RUHESTÖRUNG zusammengefaßt wird, um dann je nach Sichtweise positiv oder negativ bewertet zu werden.
Beide sind gleichermaßen von Wichtigkeit

Ruhe und Stille ermöglichen Sammlung, Selbstfindung oder Besinnung, woraus wir Kraft für unser Dasein schöpfen.

Ruhe kann aber auch Starre, Tatenlosigkeit, Stagnation bedeuten. Störung dagegen Unruhe also das Gegenteil von Ruhe!
Ihr wohnen schöpferische Kräfte ebenso inne wie zerstörerische.
Deshalb wohl hat dieses Begriffspaar in dem eines das andere bedingt, ja geradezu braucht um überhaupt wahrgenommen und erkannt zu werden, auch für das ästhetische Empfinden der Menschen eine so eminente Bedeutung.
Reinhard Roy gestaltet dieses spannungsreiche Wechselverhältnis in Bildern, die sich im Verzicht auf jegliche Gegenständlichkeit oder Literarisierung und damit auch vorgegebener Betrachtungsmuster, ganz auf das suggestive Spiel einer streng logischen, auf einfachste Elemente reduzierten Flächenkomposition und die emotionale Ausstrahlung der Farben konzentrieren. Eine Grundkomposition wird durch leichtes Versetzen und Verschieben sowie farbiges Überlagern in immer neue, bewegte Gleichgewichtszustände gebracht oder durch hauchdünne Unschärfen in Unruhe versetzt, dabei aber stets wieder zu bildnerischer Einheit geführt.
Äußerlich gesehenes wird so zu innerlich geschautem, unspektakulär und ganz still, jedoch ehrlich und wahrhaftig.
All dies geschieht fern jeder intellektuellen Spielerei mit einer Selbstverständlichkeit und Souveränität, die ihre Überzeugungskraft aus der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Autors bei der konsequenten künstlerischen Umsetzungen seiner Wahrnehmung von Wirklichkeit gewinnen.
Somit öffnet dieser scheinbar so konstruierte Bildkosmos einen zwar abstrahierten aber tatsächlichen Kosmos realer, täglich erlebter Erscheinungen. Bei intensiver Auseinandersetzung mit den Bildern wird man feststellen, das sie an der Wirklichkeit überprüfbar sind.
Geht es Roy in der Tafelmalerei unter anderem auch darum, Raumerlebnisse auf der Fläche zu erzeugen, erscheinen seine Wandobjekte als folgerichtiger, künstlerisch geradezu notwendiger Schritt zur Skulptur. Auch dabei wendet der Künstler sein Rasterprinzip an, wodurch das klassische Relief mit einfachsten Mitteln wie Reihen von Stäben oder übereinandergeschichtetem gelochten Papier, eine sehr persönliche und zeitgemäße Begriffserweiterungen im Sinne Konkreter Kunst erfährt. Die Strigenz der Werke ist von emotionaler Eindringlichkeit und nachhaltiger Wirkung. Hier wie in den Skulpturen bilden die Lochraster ebenfalls wichtige kostitutive Elemente. Bei seinen Plastiken spielt Roy mit einem bewusst sparsamen Grundvorat an stereometrischen Formen, den er in immer neue Beziehungen zueinander setzt, um stets sich wandelnde ästhetische Wahrnehmungsmöglichkeiten von Körper und Raum zu schaffen. So gestaltet er äußerst kraftvolle und kompakte Gebilde, wobei neben den bekannten Quadern, Würfeln und Stelen aktuell Kegel und Kegelstümpfe sowie Konusformen auch in Kombinationen entstehen deren lapidaren Formensprache bewegende Monumentalität ausstrahlen sowie eine neue Art der Raum – Körper –Dynamik im plastischen Oevre Roys schaffen.
Die Arbeiten des Reinhardt Roy sind zwar der Konkreten Kunst zuzuordnen, da diese einen weiten Rahmen absteckt, dennoch passen sie weder in die vielen Schubladen der Kunst-Systematiker noch des Marktes hinein. Obwohl Kinder dieser Zeit, bleiben sie autonom. Zu, leuchtend, zu nuancenreich in der Farbe – zu sensibel im Verhältnis von Formen und deren feinen Binnenstrukturen – kurz zu suggestiv, zu eigenwillig und eigenständig sind diese Werke.

Hans – Peter Jakobson, Gera 2005

1) Ursula Zeller in der Publikation „Idee und Werk“ a. d. Galerie am Fischmarkt 1995.